Festigkeit von Sicherungsmitteln im Eis

Archiviert aus: DAV Panorama 2/2005,“Eiskalt und doch brandheiß“, von Chris Semmel und Dieter Stopper

Klettern an gefrorenen Wasserfällen gilt als eine der gefährlichsten Spielformen des Bergsteigens. Neben der Frage nach der Lawinengefahr muss die Stabilität des gesamten Wasserfalls, die Eisqualität und der Routenverlauf bezüglich Eisschlaggefahr und Absicherbarkeit beurteilt werden. Bringt man schließlich eine Schraube im Eis an, bleibt die quälende Frage, ob und was diese hält.

Festigkeit lauf Norm
Festigkeit laut Norm
Kräfte an EisschraubenLaut Europäischer Norm (EN) müssen Eisschrauben radial eine Bruchfestigkeit von 10kN aufweisen. Die UIAA-Norm verlangt hingegen radial 15kN und zusätzlich eine axiale Festigkeit von 5kN. Zur Prüfung der Schrauben werden diese in einen Behälter mit Wasser eingelegt und dann gefroren, nicht eingedreht. Die Prüfung findet bei minus 18° C statt.
Für die Praxis im natürlich gewachsenen Wasserfalleis sind Festigkeitswerte moderner Eisschrauben weitgehend unbekannt. Folgenden Fragen wollten wir auf den Grund gehen:

  • Was halten Schrauben in verschiedenen Eisqualitäten?
  • Welche Schraubenlängen sind sinnvoll?
  • Welche Rolle spielt der Setzwinkel der Eisschraube?
  • Was halten gebohrte und gewachsene Eissanduhren?
  • Sind Snargs (Eishaken) heutzutage noch zeitgemäße Sicherungsmittel?

Vorgehen

Winkel laut Norm
Wir bestellten bei Black Diamond, Grivel und Charlet Moser moderne Kurbeleisschrauben. Alle Fixpunkte belasteten wir mittels unseres Hubzugs in Sturzzugrichtung (radial). Die Schrauben wurden zunächst in einem neutralen Setzwinkel platziert (ca. 90° zur Eisoberfläche). Als Widerlager für den Hubzug setzten wir unterhalb des Eisfalls Bohrhaken im Fels. Das
Eis unterteilten wir in drei Qualitätsstufen:

  • Eisqualität I = gut: kompaktes Wassereis mit solider Basis.
  • Eisqualität II = mittel: Eis mit 10-20 Prozent Hohlräumen (luft- oder schneegefüllt), die Schrauben wurden an exponierten Stellen gesetzt.
  • Eisqualität III = schlecht: sehr röhriges Eis mit 30-50 Prozent Hohlräumen (Luft), die Schrauben wurden an exponierten Stellen gesetzt (siehe Bildleiste rechts).

Erste Versuche

Mit dem österreichischen Bergführerlehrteam trafen wir uns im Januar 2004 zu einer ersten Untersuchung im Maltatal. Wir begannen mit Eisqualität I (gut) und einer mittellangen Schraube (16 cm). Wir staunten nicht schlecht, als bei einer Belastung von 22,8 kN unser Hubzug nicht mehr wollte, die Schraube und das Eis jedoch noch keine Anzeichen von Nachgiebigkeit zeigten. Das Eis knackte zwar etwas, die Lasche der Schraube verbog sich ein wenig, aber weiter geschah nichts. Auch bei weiteren Versuchen in Qualitätsstufe I führten unsere Bemühungen lediglich zum Bruch eines Bohrhakens und eines Karabiners. Wir gingen dazu über, kürzere Schrauben zu testen. Schließlich hatten wir „Erfolg“. In einer etwa 15 cm dicken Eisglasur der Qualitätsstufe I hielt die kürzeste Schraube (10 cm) etwa eine Tonne (10,1 kN). Das Eis brach großflächig und kegelförmig mit der Schraube aus. Auch die bei mittlerer und schlechter Eisqualität erzielten Werte überraschten uns.
In Qualitätsstufe II (mittel) lagen die Werte der 16 bzw. 17 cm langen Schrauben etwa bei 15 kN. Auch die Werte der 12 bzw. 13 cm langen Schrauben lagen mit 11 kN und 18 kN sehr hoch. Längere Schrauben brachten keinen deutlichen Festigkeitsgewinn. Jede der getesteten Schrauben hätte also einen Sturz gehalten.
Bei Qualitätsstufe III (schlecht) lagen die Ausbruchfestigkeiten mit 1,2 kN und 13 kN weit auseinander.
Gebohrte Eissanduhren hielten je nach Dicke des Stegs zwischen 8,7 kN und 11,5 kN, wobei beim größeren Wert nicht das Eis brach, sondern die Sieben-Millimeter-Reepschnur riss. Eine natürlich gewachsene Struktur mit einer Basis von cirka 10 auf 23 cm hielt 8,7 kN.

Weitere Werte

Im Januar 2005 setzten wir über drei Tage unsere Versuchsreihe fort. Skeptisch gegenüber unseren im vergangenen Jahr erzielten Werten, wollten wir zunächst mehr Daten ermitteln, um eine Streuung berechnen zu können. Dazu zerstörten wir weitere 49 Kurbelschrauben sowie fünf Snargs. Auch die Aussage, hängend gesetzte Schrauben hielten mehr als spitzwinklig gesetzte, wollten wir im natürlich gewachsenen Wasserfalleis überprüfen. Während dieser Versuchsreihe beschränkten wir uns auf Schrauben mittlerer Länge (Black Diamond 16 cm, Charlet Moser 18 cm und Grivel 17 cm).
In Eisqualitätsstufe I standen wir bei einem Setzwinkel von ca. 90° wiederum mit unserem Hubzug an. Von zwölf Schrauben konnten wir keine einzige aus dem Eis reißen. In zwei Fällen rissen die Laschen der Schrauben (13,2 bzw. 15,6 kN), bei einer Schraube brach das Rohr (18 kN). Bei allen weiteren konnten wir dem Eis lediglich ein Knacken entlocken und Risse im Eis produzieren. Aufgrund der limitierten Zugkraft unseres Hubzugs mussten wir bei einer Belastung von ca. 19 kN aufhören. Abermals brachen uns bei den Bemühungen, die Schrauben auszureißen, drei Bohrhaken sowie ein Karabiner.
In Eisqualitätsstufe II erzielten wir während der zweiten Testreihe schwächere Werte im Vergleich zur ersten Testreihe. Der Mittelwert aller Festigkeiten in Eisqualität II liegt bei 9,6 kN, also bei einer knappen Tonne. Bedenklich ist die Streuung. Die Werte schwankten zwischen 4,3 kN und 18,3 kN.
In Prozenten ausgedrückt hätten 56 Prozent der Eisschrauben einen Sturz gehalten, 13 Prozent waren grenzwertig und 31 Prozent hätten einem Sturz mit großer Wahrscheinlichkeit nicht stand gehalten (als sicher gelten Werte über einer Tonne – 10 kN. Grenzwertig sind Festigkeiten zwischen 5 und 10 kN, was darunter liegt, wird wahrscheinlich ausbrechen).
Bei den Versuchen im Eis der III. Qualitätsstufe lagen die Werte im Mittel bei 5,6 kN, wobei die Festigkeiten zwischen 1,2 kN und 13 kN streuten. Hier hätten 56 Prozent der Fixpunkte versagt, 13 Prozent waren grenzwertig und nur 13 Prozent hätten einen Sturz verkraftet. Ausgehend von der im „Normeis“ durchgeführten Untersuchung von Black Diamond zur höheren Festigkeit von hängend gesetzten Schrauben (positiver Setzwinkel) verglichen wir bei einer Temperatur von minus 12° C und sprödem Eis die Haltbarkeit der Eisschrauben bei verschiedenen Setzwinkeln im Wasserfalleis der Qualitätsstufe I. Unsere Ergebnisse decken sich weitgehend mit denen der Laboruntersuchung. Auch im natürlichen Wasserfalleis bringt eine hängend gesetzte Schraube höhere Festigkeiten. Der Winkel sollte etwa zwischen 0° und 30° liegen. Dies spielt vermutlich bei kälteren Temperaturen (sprödem Eis, unter minus 10° C) eine wichtigere Rolle als bei warmen Temperaturen (0° bis minus 8° C). Das „warme“ Eis ist unserer Erfahrung nach plastischer und kann somit höhere Kräfte aufnehmen.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Die Festigkeit von Qualitätseisschrauben im guten Wasserfalleis ist erstaunlich. Bei relativ warmen Temperaturen (+ 2° C) wie bei sehr sprödem Eis (minus 12° C) versagten mehrfach die Bohrhaken, an denen unser Zuggerät angebracht war. Die Eisschrauben dagegen hielten der Belastung stand. Ebenso erstaunlich ist, dass selbst die kürzesten Schrauben im guten Eis einem Sturz standhielten (Festigkeit von 10,1 kN). Zum Vergleich: Bei Sturzmessungen erhielten wir bei Fixpunktsicherung eine Umlenkungsbelastung von 7,5 kN. Lange Schrauben (22 cm) bringen keinen deutlichen Festigkeitsgewinn im Vergleich zu den mittellangen Schrauben.
Allgemein gilt, dass hängend gesetzte Eisschrauben deutlich mehr halten als im spitzen Winkel eingedrehte Schrauben. Der Grund dafür liegt in der günstigeren Kraftverteilung auf eine größere Eisfläche. Für die Sanduhren kann angenommen werden, dass gebohrte Sanduhren den natürlich gewachsenen Strukturen vorzuziehen sind, da die einwirkenden Kräfte großflächiger auf die Umgebung verteilt werden. Im guten Eis ist eine Sanduhr mit einer Breite von etwa 15 cm und einer Stegtiefe von mindestens 12 cm ein zuverlässiger Fixpunkt.
Snargs halten nur bei negativem (spitzem) Setzwinkel. Die Festigkeiten liegen dann in etwa bei einem Drittel der Festigkeit von hängend gesetzten Eisschrauben.
Bei positivem (hängendem) Setzwinkel halten Snargs oft nicht einmal das Körpergewicht. Sie haben ein nur schwach ausgeprägtes Gewinde, das keine ausreichende Verzahnung mit dem Eis bietet. In den Eisqualitäten II und III ist vor allem die breite Streuung der Festigkeiten problematisch.

Fazit für die Praxis

Forderungen, für den Standplatzbau nur lange Schrauben zu verwenden, scheinen unbegründet. Die hohen Festigkeiten der Schrauben im guten Eis sind vergleichbar denen von Bohrhaken. Somit können die Regeln für den Standplatzbau an zwei Bohrhaken im Fels auf den Standplatzbau im Eis übertragen werden. Ideal erscheint die Reihenschaltung als Basismethode, da vom Sichernden nur eine der beiden Schrauben belastet wird.
Die obere Schraube bietet Redundanz und kann gleichzeitig als erste Zwischensicherung dienen. Der Stand kann sehr schnell mit einem der Halbseilstränge eingerichtet werden (Wechselführung) oder mit Hilfe einer vorbereiteten Reihenschaltungsschlinge.
Im zweifelhaften Eis sollte röhriges und morsches Eis unbedingt vorsichtig entfernt werden. Zur Not sollten „Schraubennester“ oder eine Ausgleichsverankerung als Zwischensicherung angebracht werden. Beißt eine Schraube beim Setzen über mehr als drei Umdrehungen nicht, ist sie als zweifelhaft einzustufen.
Nach wie vor wird niemand mit Steigeisen an den Füßen und Eisgeräten in den Händen im senkrechten oder geneigten Eis stürzen wollen. Viel zu groß ist das Verletzungsrisiko. Trotzdem beruhigen die Festigkeitswerte der Schrauben enorm. Vorausgesetzt die Eisqualität stimmt. Qualitätseisschrauben sind aus Stahl (auch die Lasche!). Sie sind scharf geschliffen sowie oberflächenveredelt, um die Reibung beim Eindrehen gering zu halten, und sie besitzen eine Kurbel. Die optimale Länge liegt bei 15-18 cm. Die Schrauben besitzen in der Regel zwischen 14 und 17 Windungen. Längere Schrauben sind gut zum Bohren von Eissanduhren. Kürzere Schrauben benötigt man zum Absichern dünner Eisauflagen. Snargs gehören aufgrund der geringen Auszugsfestigkeiten in die Alteisensammlung.

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