Aiguille Verte – The Neverending Story

Autor: Frank, Bilder: Matze

Das Frühjahr war durch Wärme und lange Routen in bestem Fels geprägt – Marokko war das Ziel für drei Wochen. Aber darum soll es hier nicht gehen, denn die Fähigkeiten des menschlichen Körpers lassen sich ebenso in unweiter Entfernung in kürzer Zeit erkunden.

Die Wand

Matze und ich nutzten die schönen Tage und wollten nochmal die Eisbeile in langen Wänden schwingen, das Material einsetzen und nicht nur in der heimischen Ablage einstauben lassen. In Chamonix angekommen machte uns die akute Lawinengefahr ein wenig Sorgen und die Verhältnisse lassen das Steigen in steilen Wänden nicht zu – somit vertagen wir die Hochtouren und legen die leichte Kleidung an. Sportklettern an den Felsen von Chamonix ist angesagt. Anfangs schon etwas absurd; Sportklettern im Schatten der Klassiker und deren wunderbaren Wände und Gipfel. Wir lassen uns nicht stören, genießen die Aussicht beim Klettern und toben uns ein wenig aus. Das Wetter lädt zu Kaffee, Relaxan und Klettern ein. Die Sonnenstrahlen wärmen uns nicht nur, sie lassen uns auch ein wenig das weiße Kleid des deutschen Büroangestellten ablegen.

Nach zwei Tagen der Akklimatisierung 😉 beim Sportklettern wollen wir dann aber doch los. Die Vorbereitungen sind getroffen und mit leichten Gepäck steigen wir über den Agentière-Gletscher weiter zur Hütte mit gleichem Namen auf. Das Wetter ist schön und die vielen Möglichkeiten berauben uns der Sinne. Hier wurde unter anderem Geschichte geschrieben. Mehrfach entdecke ich Routen, die ich aus vielen Büchern und Artikeln kenne – nun soll ich sie also einmal selbst erkennen. Scheinbar muss ich also doch nicht durch die Welt reisen zum bergsteigen, warum ist mir das nie aufgefallen. Die Westalpen laden ein und die schlechten Bedingungen wollen wir uns nicht annehmen – irgendwas wird schon gehen.

Unterwegs im unteren Wandteil

Nach Rundumanalyse und vielen tollen Touren kommen wir doch wieder zur Ursprungsidee zurück – die Nordwand der Aiguille Verte. Das Couloir Courturier soll es sein – 1000 Meter Wand, viel Eis und Schnee und immer eine große Portion Luft unter dem Hintern. Auf der Verte wird man zum richtigen Alpinist.So das Urteil von Rèbuffat über den Gipfel. Auch liegen mir die lobenden und harten Worte von Vanis in den Ohren. Nun wollen wir uns von all den Geschichten selbst überzeugen. Die Routen wollen wir von der Hütte aus angehen, gegen 9 Uhr auf dem Gipfel und nach Überschreitung des Gipfel der direkte Abstieg über das Whymper Couloir auf die andere Seite. Von dort können wir dann Berge wie Grandes Jorasses mit dem Leichentuch sehen und weiter in den wunderschönen Westalpen stapfen.

Zum Abschluss noch einmal den Hüttenwirt befragen und den Tipp anfangen, am besten ihr startet gleich jetzt – die Bedingungen sind sehr hart. Wir entschließen uns trotzdem zu warten, 0:11 Uhr wird der Wecker klingen und 1:00 Uhr wollen wir starten. Gesagt getan, gegen 21:00 Uhr liegen wir im Lager und schon 23:45 Uhr heißt es aufstehen, denn mit uns wollen zwei Tschechen die Tour klettern. Also raus aus dem Lager und rein in die Klamotten. Es ist nicht sonderlich kalt und wir sind zugig bereit. Die Tour kann beginnen.

Selbst die Kälte der Nacht reicht nicht aus um den Schnee zu härten und wir sinken immer wieder ein – das Spuren zum über den Gletscher und hinauf zum Bergschrund ist mühsam. Wir gehen konstant und wollen nicht ins Schwitzen kommen. Die Schneeschuhe lassen wir aber am Rucksack und hoffen auf Erhärtung mit zunehmender Höhe. Den Einstieg der 1000m Wand nehmen wir direkt im Anschluss und klettern leicht versetzt die Wand. Noch ist alles bestens und wir kommen gut voran. Links von uns beiden sind die beiden Tschechen unterwegs, anfangs schneller unterwegs, da sie mit Kurzski im Zustieg unterwegs waren, sehen wir sie dann doch immer wieder und können auch in den oberen Seillängen gar kommunizieren.

Unterwegs im mittleren Wandteil

Das Eisfeld erreichen wir beide noch Solo und packen nun hier, noch vor Sonnenaufgang, die Seile aus. Matze übernimmt den Vorstieg und geht das harte Eis an. Ab nun heist es steig in der Wechselführung zu bleiben und die 60m des Halbseils möglichst auszugehen. Nach einer ganzen Anzahl von Seillängen zeigen sich schon die ersten Ermüdungserscheinungen in den Waden. Die Muskelberge am Unterschenkel werden nicht stärker, nur härter. Jede Möglichkeit des anders Stehen wird genutzt. Trotzdem geht es immer gut voran. Die Sonne begleitet uns nun schon eine Weile und die Bedienungen werden nicht besser. Der Gipfel ist immer in Sicht und die Hoffnung auf baldige Erlösung scheint einfach nicht zu kommen. Die Tschechen treffen es auf den Punkt, nach ca. 2/3 der Wand meinen sie zu uns: The Neverending Story.

Leichtes Gelände

Seillänge für Seillänge kämpfen wir uns nach oben. Das Ziel gegen 9:00 Uhr zu erreichen haben wir längst aufgegeben und die Hoffnung auf den Nachmittag, ca. 16:00 Uhr scheint auch nicht zu klappen. Eh ich nun aber den Leser mit Echtzeiterlebnissen langweile – The Neverending Story!

Zwischenzeitlich haben wir Halluzinationen und der Körper kämpft. Die Müsliriegel und 2l Wasser pro Person erscheinen immer knapper bemessen. Trotzdem bleiben wir eisern. Selten habe ich im Vorstieg den Kletterer alle 4 Schläge sichern müssen. Eisbeile setzen, Seile drüber legen und Zu! Nun muss man erst mal die Beine aus dem Eis nehmen, hängen an den Beilen. Das Vertrauen in Eisschrauben ist in mir in alle Ewigkeit gewachsen. Alles hängt an einer Schraube und wir mache kaum Zwischensicherungen. Die 60m ausgehen – Stand, wenn möglich, einholen und Wechsel der Führung.

Am Gipfel

Um es kurz zu machen, gegen 19:00 Uhr erreichen wir den Gipfel. Wir waren noch nie so am Ende und nun müssen wir die gleiche Strecke, vom Umfang, runter. Die Überschreitung des Gipfel und dessen Grat zum Col ist an sich schon sehr spektakulär und heikel. Wir haben dafür keine Zeit und wollen nur zum Col. Von dort soll man das Couloir abseilen können. Wir finden die Schlingen und mache uns an die Arbeit. Auch diese Aufgabe ist nicht leicht. Immer wieder muss man nach den Schlingen im Wirrwar aus Fels und Eis suchen. Stunde um Stunde seilen wir nun ab und mittlerweile sind wir mit Stirnlampe unterwegs. Dies macht das Abseilen in ungewissen Gelände nicht einfacher und die Zeit läuft. Trotzdem, gegen 0:00 Uhr stehen wir auf der anderen Seite des Bergschrund auf dem Gletscher, in völliger Dunkelheit. Unsere Biwakausrüstung soll nicht zum Einsatz kommen und so legen wir die Schneeschuhe an und mache uns auf den Weg. Die 24h haben wir bisher voll und noch immer sehen wir kein Ende. Wir träumen von großen Apfelschorle und Nudelspeisen – aber nichts dergleichen ist in Sicht, nur Schnee und Fels.

Gipfelgrat der Verte

Mit Mühe und Ausdauer erreichen wir die gegen 2:30 die Hütte, verschlossen. Am Ende, nicht mehr bereit in der Nacht nach Chamonix abzusteigen, will ich ein wenig schlafen und wir bauen nun doch eine Biwak. Trotz Zittern und Klappern, wir liegen auf je einem Halbseil und ich dar als erster den einzigen 1-Mann-Biwak-Sack nutzen (Das ist eine andere Geschichte) und so schlafe ich schnell ein. Matze geht es wohl nicht so und er weckt mich dann doch nach einiger Zeit; eine Biwakschachtel hat er gefunden und wenige Schluck Wasser hat er mir auch mitgebracht – wir mache uns sofort auf den Weg und schlafen dann schnell ein. Die Hütte ist warm und vor 9 kann uns kein Geräusch erschüttern.

Trotzdem sind wir nicht am Ende, ohne Essen und Trinken machen wir uns auf den Abstieg. Jeder Wasserrinne auf dem Gletscher wird genutzt und tatsächlich, wir erreichen die Zahnradbahn nach Chamonix. Wir nehmen die erste fahrende Bahn und lassen den Getränkestützpunkt links liegen; die Preise sind so extrem, dass wir meinen, jetzt erst recht.

Unterwegs im unteren Wandteil

Also schaffen wir es noch bis in den Ort und überfallen dort eine Bar. Die erträumten Nudeln und die zugehörige Schorle entschädigen uns – 26h und ein weiterer Tag für unsere „Eingehtour“. Im Nachhinein ist wieder alles super und wir planen die nächste Tour zusammen. Wie oft haben wir in der Wand gesagt: Nie wieder Nordwände, Sportklettern ist toll. Aber trotzdem, das Erlebnis kann kaum intensiver sein und sicher war es nicht die letzte gemeinsame Tour zweier Bergliebhaber.

Eine Tour geht zu Ende – viele Eindrücke und Restwehen bleiben. Ich habe es genossen, auch wenn meine Füße seit dem nur Barfuß klar kommen und einige Muskelgruppen sogar das Klettern am heimischen Fels verweigern – die Auszeit genießt die Familie.